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Aachen: Als in der Eifel der "Kaffeekrieg" tobte


Gewehre, Schlagwaffen, Krähenfüße
Als in der Eifel der "Kaffeekrieg" tobte

Von Dietmar Seher

06.07.2019Lesedauer: 4 Min.
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Deutsche Zollbeamte in der Eifel: Die Männer versuchten den Schmuggel über die Grenze zu verhindern.Vergrößern des Bildes
Deutsche Zollbeamte in der Eifel: Die Männer versuchten den Schmuggel über die Grenze zu verhindern. (Quelle: Heimatverein Konzen)

Seit vier Jahren herrschte 1949 Frieden in Deutschland, doch in der Eifel lieferten sich Schmuggler und Zöllner einen heftigen Kampf. Mit zahlreichen Toten. Es ging um viel Geld.

Mützenich 1949, eine kalte Silvesternacht. In dem Eifel-Dörfchen nahe der deutsch-belgischen Grenze treffen Zollbeamte vor dem Wirtshaus "Zum Weißen Pferdchen" auf eine Gruppe mutmaßlicher Kaffee-Schmuggler. In dieser Nacht ist natürlich Alkohol im Spiel. Ein Wortwechsel eskaliert. Ein 43-Jähriger gerät in Panik und Wut. Er reißt einem Zöllner den Schlagstock aus der Hand und drischt auf dessen Kopf ein. Der Beamte erleidet eine schwere Schädelverletzung, bricht später zusammen und stirbt am Neujahrstag in einem Aachener Krankenhaus.

Der Mann war einer der Toten des sogenannten Eifeler Kaffeekrieges – und kein bedauerlicher Einzelfall. Vier Jahre nach dem Ende des Naziregimes und nur Monate, nachdem das neue Grundgesetz im Artikel 2, Absatz 2 jedem Deutschen das "Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" garantiert hatte, tobte im äußersten Westen der jungen Bundesrepublik eine oftmals blutige Auseinandersetzung zwischen Schmugglern und Zöllnern.

"Fluchtversuch auf Fahrrad"

Heute steht davon nur wenig in den Geschichtsbüchern. Dabei wagte der "Spiegel" zur Beschreibung der Vorgänge sogar eine Anleihe beim militärischen Wortschatz: Er schrieb 1952 über die "HKL des Kaffeeschmuggels". "HKL" bedeutet Hauptkampflinie. Falsch schien der Vergleich nicht: Den Schmuggelpfad-Gefechten in den Eifelwäldern sind nach einer neueren Forschung des Aachener Stadtarchivars Thomas Müller 26 Dörfler aus der Region rund um die alte Kaiserstadt Aachen zum Opfer gefallen. Auch der Tod von zwei Zöllnern ist nie richtig geklärt worden.

Müller hat Archivmaterial und Zeitungen der Zeit durchgearbeitet und eine Liste der Todesopfer aufstellen können. Sie reicht vom 26-jährigen Otto Berretz aus Breinig als offenbar erstem Toten über das Brüderpaar Heinrich und Peter Willemsen bis zum jüngsten Opfer, dem 14-jährigen Horst Klinger im Aachener Wald. "Fluchtversuch auf Fahrrad" steht hinter seinem Namen.

Kurt Cremer ist pensionierter Zolloberamtsrat und hat das "Zollmuseum Friedrichs" mit gegründet und aufgebaut. Es liegt westlich von Aachen an der Grenze zu den Niederlanden. Besucher können hier historische Überbleibsel des Kaffeekrieges finden. Die "Igelketten" zum Beispiel, mit denen Zollfahnder die Reifenschläuche der mit Kaffeesäcken bepackten Schmuggelfahrzeuge durchlöcherten. Oder "Krähenfüße", die Gegenwaffe.

Mit ihnen versuchten Schmuggler, ihre motorisierten Verfolger der Grenzpolizei auszubremsen. Ein Motorradfahrer des Zolls verletzte sich nach einem so verursachten Sturz schwer. Er blieb ein halbes Jahr arbeitsunfähig.

"Ziemlich gefährliche Kriegswaffen"

Vor allem kamen Langwaffen zum Einsatz. "Das waren ziemlich gefährliche Kriegswaffen mit einer Reichweite bis zu 2.000 Metern", erzählt Kurt Cremer. "Die Zollbeamten hatten Anweisung, die Verfolgten erst durch einen Ruf zu stoppen, bevor sie Warnschüsse einsetzten." Habe das alles nichts gebracht, hätten sie aber auch auf die "unteren Extremitäten" schießen dürfen –, was bei der wilden Jagd und unebenem Waldboden dann von Fall zu Fall tödlich ausging.

Aus heutiger Sicht erscheint das Risiko, erschossen zu werden, natürlich als viel zu hoher Preis für den Schmuggel von Kaffeesäcken. In den Zeiten des Nachkriegshungers ließen sich die Menschen darauf ein. Denn während der deutschen Ardennenoffensive im Winter 1944/1945 hatte manche Eifelsiedlung binnen weniger Tage zehn Mal den Besitzer gewechselt. Die Dörfer? Waren komplett zerstört. Geld für den Wiederaufbau? Fehlte. Arbeit? Gab es in der dünn besiedelten Gegend nur wenig. Da war die Aussicht auf illegale "Monatseinkommen" von durchaus mehreren Tausend Mark für die Mitglieder der einheimischen Schmuggel-Gangs zu verlockend.

Die Währungsreform 1948 und die Einführung der D-Mark hatte den Deutschen den Zugang zu Lebensmitteln aller Art geöffnet. Die hohen Steuern auf Bohnenkaffee machten jedoch jeden Kaffeegenuss unbezahlbar und die Mokkabohne nach wie vor zum Luxusgut. Wer sich auf den Schmuggel einließ, konnte den Kaffee in Belgien für 3,75 Mark je Pfund einkaufen und nach einer nächtlichen Gewalthatz über die grüne Grenze in den Dörfern auf deutscher Seite für 10 Mark los werden. Mit noch einmal kräftigem Aufschlag verscherbelten die Dörfler die Konterbande dann in Köln, Bonn und anderen Großstädten des Westens.

Der Staat setzte auf Porsche

Museumsgründer Cremer: "Wenn ein Schmuggler drei Mal über die Grenze ging, konnte er so viel verdienen wie ein Zöllner im Monat." Zollbeamte waren erbärmlich besoldet. Bandenanführer wie der 20-jährige Josef Förster verdienten in kurzer Zeit dagegen glatt 30.000 Mark, stellte sich hinterher im Prozess gegen ihn heraus – abzüglich der 3.400 Mark, die er für die Bestechung von Zöllnern aufbringen musste. Die hatten ihm dafür die Schichtpläne der Kollegen verraten.

Anfang der 50er-Jahre spitzte sich die Situation zu. Ganze Dörfer wurden vor Gericht gestellt, die Angeklagten kamen jedoch meist nur mit milden Zwei-Monats-Strafen davon. Die Profis unter den Schmugglern beschafften sich aus alliierten Beständen ausgediente Kriegsfahrzeuge mit Panzerung und schnelle Cadillacs, um den Zollstreifen davonzufahren. Der Zoll hingegen setzte zwei nagelneue Porsche ein, einen grünen und einen roten, um ihrerseits die Cadillacs einzuholen. Unter den Stoßstangen waren Schieber montiert, die die berüchtigten "Krähenfüße" zur Seite entsorgen konnten. Der damals bekannte Rennfahrer Huschke von Hanstein trainierte die Zollchauffeure auf dem nahen Nürburgring.

Das Ende des Kaffeekrieges

Gab es Sieger in dieser brutalen wie seltsamen Auseinandersetzung? Der Staat gehörte nicht dazu. Geschätzt 1.000 Tonnen Kaffee sind in den Nachkriegsjahren illegal über die belgisch-deutsche Grenze geschafft worden. Ein Drittel des gesamten Kaffeekonsums im Rheinland dürfte in dieser Zeit Schmuggelware gewesen sein. Die Bonner Regierung gab schließlich nach. So endete der "Kaffeekrieg" 1953 mit einer massiven Steuersenkung. Die Nachtschicht als Schmuggler lohnte nicht mehr.

Der Wiederaufbau in nicht wenigen Eifeldörfern, gespeist aus ominösen Geldquellen, kam derweil unerklärlich schnell voran – und sogar die Renovierung mancher Kirche in dieser tief katholischen Gegend wurde möglich, eine Investition, die das Bistum Aachen zuvor wegen finanzieller Probleme für undurchführbar erklärt hatte. St. Hubertus im Dorf Schmidt hat seither einen reichlich irdischen Spitznamen: St. Mokka.

Verwendete Quellen
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